Donnerstag, 5. März 2015

[Rezension] - Die letzte Arche

Stephen Baxter I 2009 I Heyne I Science-Fiction

Wenn die Erde untergeht, bleibt nur ein Ausweg: das Weltall!
Die Erde wurde überflutet, und nur wenige Tausend Menschen haben die Katastrophe überlebt. In einem eigens dafür konstruierten Raumschiff soll sich eine Gruppe von Auserwählten auf die Suche nach einem neuen Planeten machen. Der Start gelingt, und die neue Heimat rückt immer näher – bis die ersten Probleme auftauchen. Und für die Reisenden auf der Arche geht es um alles oder nichts…


"Die letzte Arche" ist ein fesselnder Endzeit-SF-Roman, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Das Buch beschäftigt sich mit der zentralen Frage, wie es mit der Menschheit weitergeht, nachdem die Erde durch eine riesige Überschwemmung nicht mehr bewohnbar ist.



Charaktere
"Die letzte Arche" ist aus vielen, verschiedenen Perspektiven geschrieben und im Laufe der Handlung tauchen unglaublich viele wichtigere und unwichtigere Charaktere auf. Das hat einerseits Vorteile, da das Geschehen auf diese Weise von unterschiedlichen Standpunkten beleuchtet wird, und andererseits Nachteile, da man als Leser nur in Maßen eine Bindung zu den Hauptpersonen aufbauen kann. Die mir sympathischste Hauptperson ist Holle Groundwater, deren Geschichte man bis zum Schluss mitverfolgt. Man lernt sie als 6-Jährige kennen, erlebt aus ihrer Sicht das harte Auswahlverfahren der Crew, den wackeligen Start und die langen Jahre im Weltraum. Weitere Handlungsträger sind Grace Gray, deren bunte Vergangenheit allerdings ziemlich blass gezeichnet bleibt; Zane, ein Kandidat, der im Laufe der Zeit eine multiple Persönlichkeitsstörung entwickelt; Kelly Kenzie, die ehrgeizige Kommandantin der Archencrew, und Wilson, der Kellys Nachfolge antritt. Von einigen Charakteren muss man sich für einen längeren Zeitraum verabschieden, darunter auch Personen, deren Schicksal ungeklärt bleibt. Dafür kommen laufend neue Charaktere hinzu, zuerst die Kinder und schließlich die Enkelkinder der ursprünglichen Archencrew. Leider fehlte mir bei der Fülle an Figuren eine zufriedenstellende Charakterisierung der Handlungsträger. Man konnte nicht mit ihnen mitfühlen, die Figuren wirkten wie blasse Schablonen, die lebenswichtige Entscheidungen viel zu schnell und zu emotionslos trafen. Gut ist dem Autor hingegen gelungen, die Nachwirkungen von Zanes Kindheitstrauma durch wiederholten Missbrauch darzustellen. Baxter zieht dabei mit seinen Charakteren hart ins Gericht. Von vielen muss man sich vorzeitig verabschieden, andere entwickeln auf der Arche wahrhaft anwidernde Eigenschaften, was mich am Ende ziemlich aufgestoßen hat. In Sachen Charakterentwicklung muss ich deswegen einen klaren Abzug erteilen. Viele Charaktere weisen während der gesamten Handlung überhaupt keine Veränderungen auf, andere werden dem Leser immer unsympathischer. Die Einzige, die sich positiv hervortat war Holle, weswegen mir wahrscheinlich an ihrem Schicksal am meisten lag.

Weltenbau
Zuerst sollte gesagt sein, dass "Die letzte Arche" die Fortsetzung von "Die letzte Flut" ist und dass ich dieses Buch nicht gelesen habe. Dennoch war es mir problemlos möglich, in die apokalyptische Welt der beiden Bücher einzusteigen, da am Anfang von "Die letzte Arche" alles Notwendige erklärt wurde. Aufgrund der Ausleerung unterirdischer Wasserspeicher ist der Meeresspiegel extrem angestiegen, und er wird immer weiter steigen, bis selbst die Spitze des Mount Everest im Meer versunken ist. Verständlicherweise führt das zu schwerwiegenden Problemen in allen Ländern der Erde. Die USA steht dabei im Vordergrund - wie üblich. Baxter schildert eine sehr harte, unbarmherzige und aus diesem Grund auch realistische Welt. Die verbliebenen Überlebenden brechen in Massenpaniken aus, das karge Land ist überbevölkert und die Regierung ergreift drastische Maßnahmen zum Schutz des Archenprojekts. Wer nach einer netten Gutenachtlektüre sucht, wird sie bei diesem Buch nicht finden. Die zukünftige Erde ist düster, die Menschen sterben wie die Fliegen durch Überschwemmung, Bürgerkrieg und Hungersnöte. Baxter hat durch die anschauliche Beschreibung seiner Welt eine passende Atmosphäre geschaffen, die einen unweigerlich mitfiebern lässt. Es wird deutlich, dass das Buch von einem Hard-SF-Autoren geschrieben wurde. Obwohl die Arche mit einem Warp-Antrieb ausgestattet ist, wird dessen Funktionsweise und Konstruktion unter Beachtung der gegebenen physikalischen Gesetze sehr detailreich dargelegt. Da ich eine ausgesprochene Niete in Physik bin, habe ich davon bloß die Hälfte verstanden, aber der Autor hat auf jeden Fall ein interessantes Konzept für das interstellare Reisen erfunden.

Handlung
In einer Art Rückblende über Holles Leben erfährt man zuerst etwas über die Hintergründe des Archenprojekts. Holle und die anderen Kandidaten werden vom Kindesalter an auf ihre Mission im All vorbereitet. Das Ausbildungsprogramm ist hart und wer sich nicht bewähren kann, wird rausgeworfen. Mit zunehmender Überflutung der Erde geraten die Konstrukteure der Arche unter Zeitdruck, bis diese schließlich in allerletzter Minute in einer gewaltigen Explosion ins All geschossen wird. Um ehrlich zu sein, hatte ich erwartet, dass sich der Großteil des Buches auf der Arche abspielt, doch dem ist nicht so. Stattdessen werden in großem Umfang die Vorbereitungen auf der Erde geschildert, die Entwicklung des Warp-Antriebs und die damit verbundenen Probleme. Der zweite Abschnitt des Buches spielt auf der Arche. Die Crewmitglieder - größtenteils junge Erwachsene - müssen lernen miteinander zu leben und eine eigene Gesellschaft zu etablieren. Nachdem sie die Reise zu einem fernen Stern angetreten haben, bricht der Kontakt zur Erde ab und sie sind auf sich allein gestellt. Wie erwartet kommt es nach der Ankunft zu massiven Problemen. Denn die neue Erde - sehr kreativ Erde II genannt - ist kaum bewohnbar. Ein Teil der Crew reist zur Erde zurück, ein anderer beschließt den Planeten dennoch zu besiedeln und ein dritter will sich auf die Suche nach einer Alternative machen. Etwa ab dieser Stelle beginnt die Handlung starke Zeitsprünge einzulegen, in denen die Charaktere um Jahre altern. Es hat mich teilweise gestört, immer wieder mitten ins Geschehen geworfen zu werden. Dadurch wurde die Spannung zwar extrem gesteigert, doch man konnte sich kaum in die neuen Handlungsträger einfühlen und die Gründe ihrer Taten nachvollziehen. Damit komme ich auch schon zum eher unbefriedigenden Ende des Buches. Leider bleibt das Schicksal zahlreicher Charaktere offen, die losen Fäden der unzähligen Handlungsstränge werden nicht zusammengeführt, sondern bleiben im Raum hängen. Ich mag zwar Enden, die zum Nachdenken anregen, doch ich möchte trotzdem erfahren, wie es den Personen schlussendlich ergangen ist, mit denen ich die letzten 500 Seiten mitgefiebert habe. Und genau das wurde mir bei diesem Buch verwehrt. Es hat mich außerdem gestört, dass ausgerechnet die widerlichsten Kerle des Buches zum Schluss die besten Zukunftsaussichten bekamen.

Sprache
Die Sprache ist größtenteils einfach gehalten. Der Autor schafft es mit wenigen Ausdrücken eine sehr anschauliche und greifbare Atmosphäre zu erschaffen. Dazu tragen vor allem die vielen kleinen Details und Beispiele bei, die fortlaufend in die Sätze einfließen und dem Leser eine genaue Vorstellung der Zustände auf der Arche und der apokalyptischen Erde vermitteln. Der Schreibstil ist etwas unpersönlich gehalten, was ihn wiederum kalt und distanziert erscheinen lässt. Beschreibungen sind die Stärke dieses Buches, nicht Emotionen. Der Leser kann zwar die Welt durch die Augen der Charaktere in voller Bandbreite wahrnehmen, erfährt allerdings kaum etwas über deren Gedanken und Gefühle bezüglich des Geschehens.

Fazit
Ein sehr spannender Science-Fiction-Thriller, der mich stundenlang in Atem gehalten hat. Wer sich nicht mit technischen Details anfreunden kann, sollte allerdings die Finger davon lassen. Ich habe das Buch praktisch verschlungen, obwohl mich die Charaktere kalt gelassen haben. Störend ist allein das unzufriedenstellende Ende, weswegen ich nur 3,5 Punkte vergebe. Leider wird es zu diesem Buch keine Fortsetzung geben, sodass das Schicksal der Verbliebenen weiterhin ungeklärt bleiben sollte. Der Autor hat auf Englisch eine Kurzgeschichte im Internet veröffentlicht, die einen der losen Fäden erneut aufgreift, doch auch diese beschäftigt sich nur indirekt mit dem unmittelbaren Schicksal der Charaktere. Ich kann das Buch vor allem Fans der Hard-SF weiterempfehlen.

Positiv
+ Sehr hohe Spannung
+ Atmosphäre
+ Details

Negativ
- Charakterentwicklung
- Unzufriedenstellendes Ende

Bewertung
3,5 I 5

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen